Technologiegetriebene Start-ups sind ganz vorne dabei, wenn es darum geht, die dringend benötigten Lösungen für unsere ökologischen Herausforderungen zu entwickeln. Doch was treibt diese jungen Unternehmen an, und wie schaffen sie es, etablierte Unternehmen bei der Umsetzung von CleanTech-Innovationen zu unterstützen? Wie behaupten sich Start-ups in einem Markt, der zunehmend nach nachhaltigen Lösungen verlangt, und welche Unterstützung benötigen sie, um ihre Ideen erfolgreich umzusetzen? Ein Interview mit Dr. Eric Heintze, der sich sowohl am ENI, dem Institut für Entrepreneurship und Innovationsforschung der Universität Stuttgart, als auch bei dem Verbund von Start-ups, Wissenschaft und Wirtschaft „NXTGN“ engagiert.
Aus Deiner Sicht des Entrepreneurship-Forschers: Wo liegen derzeit die Themenschwerpunkte technologiegetriebener Start-Ups?
Start-ups sind Pioniere im wirtschaftlichen Entwicklungssystem, die in Lücken stoßen, die durch neue Technologien, neue Fragestellungen, neue Herausforderungen entstehen. Das ist für Großunternehmen im gefragten Tempo oft schwierig. Für technologiegetriebene Start-ups war eine Zeitlang E-Commerce das wichtigste Thema, dann waren es die sozialen Netzwerke, aktuell stehen KI, CleanTech und Sustainability im Fokus. Alle sehen sich der ökonomischen, ökologischen und sozialen Verantwortung verpflichtet und legen den Schwerpunkt auf den Impact – also auf die Wirkung, die eine Technologie mit sich bringt.
Schauen wir mal auf die Start-ups im CleanTech-Bereich. Was ist aus Deiner Erfahrung bei der Gründung zuerst da: Die Idee für eine neue Technologie oder ein konkreter Bedarf?
Wir haben mit der KI einen Treiber, der zu einem wahren Technologie-Push führt. Gleichzeitig sehen wir einen starken Market-Pull-Effekt: Der Markt verlangt nach Lösungen. Hier entsteht eine extrem spannende Dynamik. Insbesondere im Bereich CleanTech sind es nicht zuletzt auch neue Regulatorien, die die Unternehmen zwingen, sich beispielweise mit sauberer Produktion, der Aufstellung ihrer Zulieferer oder der Überwachung ihrer Lieferketten zu befassen. Solche Aufgaben werden gerne an Start-ups übergeben, die unabhängig vom Kerngeschäft deutlich agiler sind und sich auf ein Thema spezialisieren können. Kurz: Beide Ansätze sind erfolgversprechend, wenn man sie richtig aufsetzt.
Wie unterstützt Ihr bei NXTGN Start-ups, deren Geschäftsidee auf das Thema CleanTech einzahlt?
Zunächst ist es wichtig aufzuzeigen, wie sie mit solchen Themen marktwirtschaftlich relevante, tragfähige Modelle und auch Fundraising aufbauen. Wir stellen sie zum Beispiel Venture-Capital-Investoren vor, die auf CleanTech spezialisiert sind, wie dem World Climate Fund VC oder Greentech VCs. Bis vor wenigen Jahren gab es diese meist kapitalintensiven und damit sehr wirkungsvollen Venture-Capital-Institutionen noch nicht, die teilweise bewusst auf Rendite verzichten und sich auf die Frage konzentrieren: Welche nachhaltigen Effekte haben wir erzielt? Es gibt außerdem zahlreiche Green-Tech-Förderprogramme auf EU-, nationaler und Landesebene, wo wir Orientierung schaffen.
Kannst Du uns ein paar Beispiele nennen von CleanTech-Start-ups aus Baden-Württemberg?
Die Liste ist inzwischen tatsächlich ziemlich lang. Da ist etwa Perosol vom Stuttgarter Campus, das flexible und besonders dünnschichtige Solarzellen im Druckverfahren entwickelt, oder das Team von Cyclize – ebenfalls aus Stuttgart – das Kunststoffabfälle mithilfe chemischen Recyclings in Zwischenprodukte verwandelt, die sich unmittelbar zur Herstellung neuer Produkte verwenden lassen. Ein sehr aufwendiges Verfahren – den entsprechenden Reaktor zu entwickeln, hat über zehn Jahre gedauert. Ineratec vom KIT in Karlsruhe forscht an nachhaltigen und klimaneutralen Kraftstoffen und hat jüngst 118 Millionen Euro eingefahren, um eine Produktionsstätte in Frankfurt aufzubauen. Ein tolles Beispiel dafür, wie Wissenschaft zur Anwendung kommt. Proservation an der Hochschule der Medien entwickelt nachhaltige Verpackungen aus pflanzlichen Resten. Ebenso Rezemo, die Kaffeekapseln aus recyceltem Papier herstellen. Hydrop Systems aus Stuttgart beobachten mit ihrem Hydrop Meter den Wasserverbrauch, Organifarms setzen Ernte-Roboter in Gewächshäusern ein – ohne jetzt alle genannt zu haben wird glaube ich sichtbar, wie groß die Vielfalt ist.
Welche Rolle nehmt Ihr beim Zusammenbringen etablierter Unternehmen und Start-ups ein?
Unternehmen brauchen eine Einschätzung, ob Start-ups für die Zusammenarbeit in einem bestimmen Themenfeld wie zum Beispiel CleanTech geeignet sind. Hier kommen wir ins Spiel, indem wir gezieltes Scouting betreiben. Wir vermitteln sehr viele Start-ups mit passenden Ideen an Unternehmen und umgekehrt. Auch, wenn das Silicon Valley, Israel oder China nach wie vor relevante Hot-Spots sind, schauen die Unternehmen zunehmend nach regionalen Innovations-Lieferketten. Wo kommen die nachhaltigen und innovativen Technologien von morgen her, wenn andernorts Kriege herrschen, der Handel eingeschränkt ist oder Staaten nur im eigenen Land Innovationsforschung betreiben? Aktuell entstehen neue Hürden, die nicht nur den Zugang zu Märkten, sondern auch den zu Innovationen behindern. Mit NXTGN wollen wir den Blick dafür schärfen, welches Potenzial vor der eigenen Haustür liegt.
Wo liegen aus Deiner Sicht die Chancen und Risiken für die Unternehmen in der Zusammenarbeit mit CleanTech-Start-ups?
Die Chance liegt darin, dass Firmen in der Zusammenarbeit mit Start-ups schneller agieren können: Es kann sehr lange dauern, interne Prozesse anzustoßen. Nicht selten müsste dafür zunächst ein kompletter Kulturwandel stattfinden. Start-ups bieten eine bunte Vielfalt an Technologien, aus der geschöpft werden kann. Zu den Risiken gehört, dass es im Vorfeld schwer zu beurteilen ist, wie effizient neue Technologien wirklich sind. Häufig fehlt die Skalierung, und es ist nicht klar, welche Wirkung sie erzielen, wenn sie in großem Stil eingesetzt werden. Zum anderen gibt es natürlich das Marktrisiko. Nach einer längeren Flaute beobachten wir im Moment, dass sich der Markt wieder fängt und Investitionen zunehmen. Davor blieb jedoch, vor allem für deutsche Firmen, lange Zeit wenig finanzieller Spielraum für Innovationen. Wer Mitarbeitende entlassen muss, scheut sich, etwa in CleanTech zu investieren. Die Fragen sind: Wie viel Investitionspotenzial lässt der Markt zu? Und wie verlässlich sind die neuen Technologien?
Wie schätzt Du die Relevanz von CleanTech-Start-ups in den nächsten Jahren ein?
Sehr hoch! Ganz viele Werteversprechen großer Konzerne etwa mit Blick auf eine geschlossene Wertstoffkette oder den eigenen CO2-Footprint werden nicht einzuhalten sein, wenn sie sich nicht die Unterstützung junger Unternehmen mit entsprechendem CleanTech-Know-how ins Haus holen. Ich würde sogar noch ein bisschen weitergehen: Aus meiner Sicht werden wir ohne Start-ups im Bereich CleanTech das deutsche Klimaziel für 2030 – die Verringerung der Treibhausgasemissionen um mindestens 65 Prozent – nicht erreichen.
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