Interview: Der Kampf der Automobilisten zwischen Corona und E-Mobility

Interview mit Matthias Müller, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG

Geschlossene Werke, gedrosselte Produktion, massive Umsatzeinbrüche – die Corona-Pandemie hat enorme Auswirkungen auf die Automobilindustrie. Und sie trifft die Autobauer in einer schwierigen Situation: Die Branche befindet sich in ihrem bislang größten technologischen Umbruch, der enorme Kosten für innovative Antriebstechniken und neue elektrische Fahrzeugmodelle verursacht. Daneben kämpft sie mit weiteren Herausforderungen, wie schärferen CO2-Vorgaben aus Brüssel und dem Handelsstreit zwischen den USA und China. Wir haben Matthias Müller, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, zur Zukunft der Branche und der neuen Technologien befragt.

Herr Müller, mehr Tempo bei Elektromobilität und alternativen Antrieben forderten Sie bereits 2017. Haben Hersteller und Politik seitdem genug getan?

2017 gab es drei Gründe, warum die Menschen keine Elektroautos kauften. Der eine Grund war die geringe Reichweite von etwa 100 Kilometern. Mittlerweile hat die Industrie Autos mit 400 bis 600 Kilometern Reichweite auf den Markt gebracht. Also: Problem gelöst. Der zweite Nicht-Kauf-Grund war der Preis. Die Autos waren damals noch sehr teuer. Die neue Generation, der ID.3 zum Beispiel, kostet so viel wie ein Golf Diesel. Also ist auch dieses Problem gelöst. Drittes Problem: die Ladeinfrastruktur. Dieses Problem ist nicht gelöst. Das ist aber auch nicht die Aufgabenstellung der Autohersteller, sondern das wäre die Aufgabenstellung der öffentlichen Hand, des Bundes oder zumindest der Länderregierungen – und an der Stelle hakt es. Volkswagen und Porsche haben – gemeinsam mit Mercedes und BMW –das Unternehmen IONITY gegründet, um zumindest an den Autobahnen Schnellladestationen zu bauen. Wenn ich eine lange Strecke fahre, mag das helfen. Aber was ist in den Kommunen? Was ist in den Städten mit den Laternenparkern? Da sehe ich, wie gesagt, ein Problem auf uns zukommen.

Welche Rolle spielen die Verbraucher?

Jeder kann seinen ökologischen Footprint ins Auge fassen und etwas dafür tun. Man hört oft die Aussage, dass Demokratie etwas mit Debatte zu tun hätte. Diese Debatte vermisse ich ehrlich gesagt ein wenig. Hierzulande wird immer nur die Autoindustrie in die Pflicht genommen.

Ist die Elektromobilität die richtige Technologie, um Ökologie und Autofahren in Einklang zu bringen?

Betrachten wir das Ganze über einen längeren Zeitraum, dann sind die batteriebasierten elektrischen Antriebe, von denen wir im Moment reden, eine Übergangstechnologie. Weil wir heute nicht sicher sein können, wohin die Reise geht – ich rede immer von der ganzen Welt, nicht nur von Deutschland und Baden-Württemberg – sind die Benzin- und Dieselmotoren längst nicht am Ende. In dem Maß, in dem die elektrischen Antriebe gefördert werden, auch firmenintern mit eigenen Budgets, entsteht ein Wettbewerb innerhalb eines Unternehmens. Dann wachen auch die Verbrenner-Ingenieure wieder auf und entwickeln neue Ideen. Denken wir nur an das Thema „Synthetische Kraftstoffe“, bei dem ich überhaupt nicht verstehe, warum die Politik nicht aufgeschlossen reagiert.

Sie haben auf den weltweiten Aspekt hingewiesen. Wie ist denn Ihre Einschätzung: Sind die deutschen OEMs gut aufgestellt?

Den Abgesang auf die deutschen Automobilhersteller gab es schon so oft und er hat sich nie bewahrheitet. Das liegt an der hohen Qualität. Nehmen Sie als Beispiel Volkswagen. Als wir vom Abgasskandal betroffen waren, sahen viele das Ende des Konzerns nahen. Das trat nicht ein. Stattdessen konnten wir immer beste Zahlen realisieren, obwohl inzwischen mehr als 30 Milliarden Euro für Strafen, Vergleiche und Schadenersatz bezahlt wurden.

In der Diskussion um Zukunftschancen wird immer gern Tesla erwähnt. Ich habe großen Respekt vor der Firma und vor dem Chef, der – zumindest was Marketing anlangt – erfolgreich agiert. Aber schauen wir mal auf das Volumen. Der Volkswagen-Konzern verkauft mittlerweile mehr als zehn Millionen Fahrzeuge im Jahr. Tesla um die Hunderttausend und hat dabei nicht einen Euro verdient, sondern bisher nur Geld verbrannt. Die Frage ist, wie übersteht Tesla die Corona-Krise und bleibt das Unternehmen alleine überlebensfähig, weil – jetzt schließt sich der Kreis unserer Diskussion – der Markt für Elektrofahrzeuge ist, zumindest im Moment aus den angesprochenen Gründen, überschaubar. Und im Gegensatz zu den großen Automobilherstellern, hat Tesla keine anderen Antriebskonzepte zu bieten.

Wie schätzen Sie die Situation bei den Zulieferern ein?

Der deutsche Mittelstand ist solide und dabei kreativ, schnell und auch mutig in der Entscheidungsfindung und Umsetzung. Deswegen sind sie ein Standbein unserer Wirtschaft und werden das auch zukünftig sein. Wichtig ist, dass Firmen gut gemanagt werden – das gilt aber für jede Unternehmensgröße.

Was bedeutet die technologische Entwicklung für die Arbeitnehmer?

Schon Anfang der 1990er-Jahre, bei der sogenannten zweiten Revolution der Autoindustrie, wurde behauptet, dass die Automatisierung zum Verlust von zigtausend Arbeitsplätzen führe. Am Ende gab es mehr Arbeitsplätze in der Automobilindustrie als je zuvor. Bedarfsbetrieben, aber eben auch, weil neue Aufgaben und Arbeitsinhalte entstanden. Mit der Digitalisierung werden Arbeitsplätze verloren gehen, aber es werden gleichzeitig neue Arbeitsplätze entstehen. Dabei wird es darauf ankommen, dass Unternehmen den Wandel gut managen und den Transformationsprozess in Aktivitäten übersetzen, beispielsweise mit Umschulungen und Weiterbildungen. Nur kommt es hier nicht allein auf eine Änderung des Fachwissens an – auch unser Mindset muss sich mit dieser Herausforderung anfreunden!

 

Bildquelle: Sympra

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