Quantencomputing gilt als die nächste große Zukunftstechnologie: „The next big thing“, wie Forscher gerne sagen. Nach der Digitalisierung könnten die neuen Superrechner die nächste technologische Revolution auslösen und zum Game Changer werden, nicht nur für ganze Branchen und Märkte, sondern für so ziemlich alle Lebensbereiche. Denn Quantencomputer werden, sofern sie fehlerfrei funktionieren, Dinge möglich machen, die wir bisher allenfalls aus Science-Fiction-Filmen kennen.
Anders als herkömmliche Computer, die mit Nullen und Einsen programmiert werden, rechnen Quantencomputer mit Qubits. Das sind Speichereinheiten, die Nullen und Einsen kombinieren und so Prozesse parallel, in mehreren Zuständen bearbeiten können, was zu einer vielfach höheren Rechnerleistung führt. Der endgültige Beweis dafür wurde erst 2019 erbracht. Google vermeldete, dass ein Quantencomputer eine Rechenaufgabe in drei Minuten erledigt hat, für die ein konventioneller PC 10.000 Jahre gebraucht hätte. In Worten: Zehntausend Jahre!
Von der Anwendungsreife ist die Technologie allerdings noch weit entfernt. Noch ist das System zu fehleranfällig. „Aktuell lassen sich die Probleme leichter mit dem Laptop lösen“, sagt Andre Luckow, der bei BMW das Thema „Neue Technologien“ verantwortet. Fünf bis zehn Jahre, prognostizieren Forscher, werde es noch dauern, bis die superschnellen Hochleistungsrechner Herstellungsprozesse und Dienstleistungen optimieren können. Oder, wie es die Münchner Informatik-Professorin Claudia Linnhoff-Popien formuliert: Man muss die Technologie erst einmal „von der Wissenschaft auf die Straße bringen“. Für normale Nutzer, die im Netz surfen oder zocken wollen, bringen die Superhirne ohnehin keinen Mehrwert.
Weltweites Wettrennen um industrielle Anwendungen
Wie wichtig Quantencomputing aber für industrielle Anwendungen werden kann, zeigt der Umstand, dass sich weltweit alle führenden Forschungseinrichtungen und Unternehmen ein Wettrennen darum liefern, mit enormen personellem und finanziellem Aufwand. Laut dem Online-Portal „Statista“ flossen in der EU bisher 7,2 Milliarden Euro an Fördergeldern ins Quantencomputing, damit liegt Europa immerhin vor den USA (1,9 Milliarden), aber hinter China (15,3 Milliarden).
Auch in Deutschland ist das „Who is who“ aus Wissenschaft und Industrie mit dabei. Im „Munich Quantum Valley“, der größten Forschungsallianz dieser Art in Europa, kooperieren die Bayerische Akademie der Wissenschaften, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Technische Universität München. An Geld mangelt es nicht. Für die Staatsregierung hat das Thema höchste Priorität. Der Freistaat Bayern fördert das Forschungsnetzwerk mit 300 Millionen Euro.
Damit möglichst viele an der neuen Technologie teilhaben und sie erproben können, hat IBM Anfang 2021 im Kompetenzzentrum „Quantencomputing Baden-Württemberg“ einen Superrechner für den „anwendungsbezogenen Einsatz“ installiert, den ersten dieser Art in Europa. „IBM Quantum System One“, der in Ehingen bei Stuttgart stationiert ist, hat eine Rechnerkapazität von 27 Qubits und steht Industrieunternehmen, KMUs, Startups sowie akademischen Einrichtungen zur Verfügung. Der Quantum System One kann 2 hoch 27 Zustände gleichzeitig annehmen, eine unvorstellbare Zahl. Und doch ist diese Rechnerleisung heute, knapp zwei Jahre später, längst überholt. Im Forschungszentrum Jülich ging 2022 ein Quantencomoputer mit mehr als 5000 Qubits an den Start.
Industrie zieht bei der Entwicklung an einem Strang
So schnell sich die Entiwcklung auch vollzieht: Das Thema ist so komplex, vielfältig und kostspielig, dass nicht nur die Forschung, sondern auch die Industrie ihre Kräfte bündelt. Im „Quantum Technology and Application Consortium (Qutac)“ machen deutsche Konzerne gemeinsame Sache. Die Wettbewerber BMW und VW sind dabei, ebenso BASF, Boehringer Ingelheim, Bosch, Infineon, Merck, Munich Re, SAP und Siemens. Längst haben auch Startups die revolutionäre Technologie für sich entdeckt, 300 sollen sich weltweit mit Quantencomputern beschäftigen.
Chemie, Automotive, Logistik, Medizin, Banking – die Einsatzgebiete der Hightech-Rechner sind vielfältig. Am Beispiel Bahn erahnt man die Dimensionen: Deutsche ICEs fahren Tag für Tag 154 große Bahnhöfe an, woraus sich Billionen möglicher Streckenvarianten ergeben. Quantencomputer könnten die Umläufe optimieren und so zu „höherer Verlässlichkeit im Bahnverkehr“ beitragen, hofft Manfred Rieck, Vice President Individual Solution Development bei der Deutschen Bahn: „Langsam kommt Geschwindigkeit in das Thema, es kommt von den Hochschulen in die Industrie.“
Die chemische Industrie setzt darauf, die Leistung und Energiedichte von Batterien mithilfe von Quantencomputern zu verbessern. Und selbst im Bankwesen ist der Einsatz der Superrechner denkbar. Angesichts der weiter rückläufigen Zahl an Bankfilialen seien Bargeldversorgung und Einzahlmöglichkeiten Betätigungsfelder, so Augustin Danciu, Technologieexperte bei der Commerzbank.
Selbst wenn Forscher die Fehlerhaftigkeit der Technologie in den Griff bekommen sollten – woran es kaum Zweifel gibt: Nicht jedes Unternehmen wird sich dann einen eigenen Quantenrechner leisten können. Horst Weiss, Vice President Knowledge Innovation & Solutions bei BASF, fordert deshalb einen „niederschwelligen Zugang“ zu Computing-Diensten über die Cloud. Unternehmen wie google wollen künftig solche Dienste anbieten.
Wer aber soll die Quantencomputer programmieren und bedienen? Studiengänge, die „Quantum Natives“ ausbilden, müssen erst noch geschaffen werden. Bis es soweit ist, forschen Wissenschaft und Industrie weiter an der Technologie der Zukunft.
Bild: IBM Quantum Lab, Yorktown Heights, NY, USA
Bildquelle: IBM
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