Interview: „Wir müssen die bestehende Infrastruktur nutzen, um synthetischen Kraftstoff an die Tankstellen zu bringen“

Interview mit Dr.-Ing. Tim Böltken, Geschäftsführer der INERATEC GmbH

Dr.-Ing. Tim Böltken, 35 Jahre, ist Geschäftsführer von INERATEC GmbH und leidenschaftlicher Radfahrer. Vor kurzem ist er Vater geworden und steht nun vor der Herausforderung, seine persönliche Mobilität an die neuen Lebensumstände anzupassen: Denn er besitzt kein Auto, sondern nutzt für weitere Strecken die Bahn oder Car-Sharing. Die Firma INERATEC aus Karlsruhe fertigt modulare chemische Anlagen für Power-to-X- und Gas-to-X-Anwendungen zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen. Wir haben mit dem promovierten Verfahrenstechniker darüber gesprochen, ob wir zukünftig unsere Autos klimaschonend mit einem aus CO2 und erneuerbarem Wasserstoff hergestellten Kraftstoff betanken können.

Herr Böltken, was sind synthetische Kraftstoffe und wie lässt sich damit die Energiewende vorantreiben?

Synthetische Kraftstoffe werden im Gegensatz zu herkömmlichen Kraftstoffen nicht aus Erdöl, sondern im sogenannten Power-to-Liquid-Prozess aus erneuerbarem Strom und CO2 hergestellt. Es entstehen klimaneutrales Benzin, sauberer Diesel und e-Kerosin, die nahezu rußfrei verbrennen und nur das CO2 an die Umwelt abgeben, das vorher in der Herstellung verwendet wurde. Unser Ansatz bei INERATEC ist es, die Sektoren erneuerbare Energie und Mobilität miteinander zu koppeln, indem wir erneuerbaren Strom und das Molekül CO2 nehmen und diese in synthetische Kohlenwasserstoffe umwandeln, also unter anderem in flüssige Kraftstoffe. Diese synthetischen Kraftstoffe kann man wie fossile Kraftstoffe lagern, verteilen und tanken. Vorteil des Prozesses ist, dass man den Klimakiller CO2 wiederverwerten und in einen Kreislauf einspeisen kann. Die Reaktortechnologie, die den Prozess in Anwendung mit Erneuerbaren ermöglicht, wurde seit 2016 in verschiedenen Forschungsprojekten getestet und kann nun in der Industrie eingesetzt werden. Die erste industrielle Power-to-Liquid-Anlage wird 2021 in Deutschland in Betrieb genommen werden.

 Was schätzen Sie, wann wir unsere Autos mit Wasserstoff betanken können?

Wasserstoff ist eine Option – wir halten flüssige synthetische Kohlenwasserstoffe aber für weitaus attraktiver. Es bestehen verschiedene Ansätze, Mobilität nachhaltig zu gestalten. Diese Ansätze greifen alle ineinander und ergänzen sich. Eine Möglichkeit ist die batteriebetriebene Elektromobilität, bei der man das Elektron direkt tankt. Sie gilt daher auch als effizienteste Methode, Fahrzeuge mit erneuerbaren Energien auf die Straße zu bekommen. Jedoch stehen wir vor den Herausforderungen, eine funktionierende Infrastruktur aufzubauen, komplette Fahrzeugflotten umzustellen und den Schwerlastverkehr elektronisch zu betreiben.
Wir müssen aber nicht nur Lösungen für den Auto-, sondern auch für den Flug- und Schiffsverkehr finden. Denn wie werden wir weite Strecken in den Urlaub zurücklegen? Synthetische Kraftstoffe können an dieser Stelle eine klimafreundliche Alternative sein.

Gibt es denn überhaupt genügend Tankstellen und Ladepunkte?

Um Autos direkt mit Wasserstoff betanken zu können, benötigen wir neben der bestehenden Infrastruktur aus Tankstellen mit Diesel und Benzin und der sich im Aufbau befindenden Ladesäulen-Infrastruktur für die E-Mobilität eine dritte Infrastruktur zum Tanken von Wasserstoff. Ich halte es für unrealistisch, dass eine dritte Infrastruktur errichtet wird, um Autos direkt mit Wasserstoff zu betanken. Bei INERATEC verfolgen wir den Ansatz, aus Wasserstoff mit CO2 einen flüssigen Kraftstoff herzustellen, der in die bestehende Infrastruktur eingeführt werden kann. Einen solchen Kraftstoff könnte dann jeder an der Tankstelle um die Ecke tanken. Auf chemischer Ebene sind „e-Fuels“ und herkömmliche Kraftstoffe gleich und damit kompatibel mit bestehenden Verbrennungsmotoren. Bestehende Autos können mit synthetischen Kraftstoffen fahren, ebenso wie Flugzeuge ohne technische Umrüstung mit klimaneutralem Kerosin fliegen können.

Lesen Sie im zweiten Teil unseres Interviews mit Dr.-Ing. Tim Böltken, warum wir unsere Mobilität schon kurzfristig überdenken müssen, welche Rolle die Automobilhersteller dabei spielen und was das Ganze mit Corona zu tun hat.

 

Bildquelle: INERATEC GmbH

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